Sterben als eine vergessene Kunst

Brost-Buch gibt bewegende Einblicke in den Alltag der Palliativmedizin

„Für den letzten Weg ist es immer zu früh…“

Professor Dr. Jeanne Niklas-Faust beschreibt einfühlsam die Intensität, mit der moderne Menschen den Tod verdrängen. Als Bundesgeschäftsführerin der Bundesvereinigung

Lebenshilfe beschäftigte sie sich im Buch „Das Leben vom Ende her denken“ mit der Fragestellung Begleitung am Lebensende und palliative Pflege für Menschen mit Behinderung“. Bei der Vorstellung des dritten Bandes der Brost-Bibliothek appelliert die Medizinerin an Betroffene, die wir zwangsläufig alle einmal werden: „Es sollte uns allen bewusst sein, wie viel Leben im Sterben ist.“ Gemeinsam mit Professor Eckhard Nagel hat Professor Bodo Hombach ein Buch herausgebracht, das im Untertitel „Einblicke in die Palliativmedizin“ verspricht. Auslöser waren Gespräche zwischen Nagel und dem Vorstandsvorsitzenden der Brost-Stiftung anlässlich des Todes seiner Mutter. Hombach: „Im Buch melden sich Menschen zu Wort, die etwas zu sagen haben. Experten auf ihrem Teilgebiet, aber alle mit der Sensibilität menschlicher Betroffenheit.“ 

„Wir müssen weg vom Begriff der Sterbemedizin. Palliativmedizin gehört in jedes moderne Therapiekonzept“

Auf mehr als 200 Seiten beschäftigen sich die unterschiedlichsten Autoren mit einem Thema, das immer noch gerne in der modernen Gesellschaft verdrängt wird. Das Buch vermittelt Einblicke in die wissenschaftlichen sowie ethischen Aspekte der Palliativmedizin, lässt betroffene Angehörige zu Wort kommen und vermittelt eindringliche Beschreibungen von Menschen in den letzten Momenten des Lebens.

Die Künstlerin Marti Faber beispielsweise hat viele Nächte an Sterbebetten gewacht. Im Einverständnis mit den Patienten entstanden weit über tausend Zeichnungen, oft nur flüchtige Skizzen: Gesten, Konturen, Gesichter. Es ging nicht um Ästhetik oder Kunst, sondern um letzte, authentische Lebenszeichen. Der Journalist und Schriftsteller Ulrich Harbecke hat dazu Texte geschrieben, die in Auszügen im Buch erscheinen. Hombach: „Marti Faber und Ulrich Harbecke haben sich mit bewegenden Zeichnungen und Texten ganz zu den Menschen gestellt. Sie erörtern nicht das Thema, sondern geben ihm Gesicht und Stimme. “

 

Im Buch kommen auch drei Preisträgerinnen des diesjährigen Brost-Ruhr Preises, Frau Dr. Ferya Banaz-Yaşar, Frau Dr. med. Marianne Kloke und Frau Dr. med. Nicole Selbach umfänglich zu Wort. Die Diskussion um die Endlichkeit irdischen Daseins vervollständigt Reinhold Messner mit Nahtoderfahrungen und Berichten über den Tod seines Bruders. Ziel der Herausgeber ist es, dem Thema in der öffentlichen Debatte angemessen Gehör und Raum zu verschaffen. Hombach: „Ich wünsche dem Buch gemeinnützige Nebenwirkungen – wenn es Risiken haben sollte, dann für bisherige Ahnungslosigkeit.“

„Medizinstudenten müssen darauf vorbereitet werden, Palliativmedizin zu integrieren. So kann der Patient bis zum Schluss ein hohes Maß an Lebensqualität bewahren.“

Professor Nagel nahm die Zuhörer bei der Buchvorstellung mit aus eines Zeitreise in die Geschichte des Sterbens: „In der Antike sprach man von einer Kunst des Sterbens. Die Menschen wollten sich über viele Jahrhunderte gut vorbereitet ins Jenseits verabschieden. Heute möchte die Mehrzahl laut Umfragen einfach einschlafen oder mit ihrem liebsten Menschen auf dem Heimflug nach einem Urlaub gemeinsam im Flugzeug abstürzen. Wir bemühen uns, den Tod von uns weg zu halten.“ In „Das Leben vom Ende denken“ habe man vor allem Wert darauf gelegt, Zusammenhänge zu erläutern. Nagel: „Gerade das Ruhrgebiet ist eine Region, in der über das Thema Palliativmedizin intensiver gesprochen, in der diese intensiver auch in Projekten der Öffentlichkeit dargestellt werden muss. Um Menschen zu ermutigen, diese Hilfe sich dann auch tatsächlich zu eigen zu machen oder die Möglichkeit zu haben, sich dorthin zu wenden, wo man diese Hilfe auch erhält.“